Andorn (Marrubium vulgare L.)
Andorn der Giftspezialist
Obwohl Andorn als Heilpflanze heute nicht mehr die Bedeutung hat wie in früheren Zeiten, wird sie nach wie vor bei chronischer Appetitlosigkeit, Reizmagen sowie bei Verdauungs- und Atemwegsbeschwerden unterstützend eingesetzt. Doch die Pflanze kann noch mehr: Sie entzieht verseuchten Böden giftige Schwermetalle - und neutralisiert böse Stiefmütter.
Der Andorn (Marrubium vulgare L.) kann als Arzneipflanze auf eine lange Geschichte zurückblicken, die bis in das antike Griechenland reicht. Die frühesten Schilderungen in Dioskurides' «Materia medica» aus dem ersten Jahrhundert nach Christus berichten über Anwendungen von Andorn bei Husten, Asthma, Vergiftungen, Wunden, Geschwüren und Ohrenleiden. Im Mittelalter bestätigten viele Kräuterkundige den Nutzen des Andorns als Bitterkraut, das die Leber stärkt und somit Vergiftungen entgegenwirkt. Auch in den kräuterheilkundlichen Schriften der Klostermedizin wird das Kraut vor allem bei Erkältungskrankheiten und Verdauungsbeschwerden erwähnt. Entsprechend wird Andorn bis in die Gegenwart in vielen europäischen Klostergärten angebaut und kultiviert. Obwohl die Heilpflanze heute nicht mehr die Bedeutung hat wie in früheren Zeiten, wird sie nach wie vor zur Linderung bei Verdauungs- und Atemwegsbeschwerden eingesetzt. Neue Untersuchungen zur Ökologie der Pflanze auf den Böden der ehemaligen Quecksilberminen in Almadén, Spanien zeigten, dass Marrubium vulgare in der Lage ist, dieses Schwermetall aus verseuchten Böden zu extrahieren und damit zu deren Entgiftung beitragen kann.
Bedrohte Art oder lästiger Neophyt
Andorn zählt zur grossen Familie der Lippenblütler (Lamiaceen) und ist in Europa, Asien, Australien, Südafrika, Amerika sowie auf den Azoren und den Kanarischen Inseln verbreitet. Sein Ursprung ist unklar und wird in der Region zwischen Mittel- und Zentralasien vermutet. Sicher ist jedoch, dass er im Mittelmeerraum beheimatet war und vor langer Zeit in Mitteleuropa eingebürgert wurde. Andorn gedeiht bevorzugt auf mässig trockenen, nährstoffreichen Böden und ist heute nur noch selten an Wegesrändern, auf Dorfpfaden, magerem Weideland, in Hecken und an Zäunen aufzufinden. Mittlerweile zählt er zu den stark gefährdeten Arten und darf nicht gesammelt werden. Daher erfolgt der Anbau zu pharmakologischen Zwecken vorwiegend in Osteuropa und Marokko. Als Alternative zum Sammeln ist das Saatgut im Handel erhältlich, so dass die Pflanze auch im eigenen Kräutergarten angebaut werden kann. In Australien hingegen, wo Andorn von europäischen Siedlern eingeführt wurde, besiedelte die Pflanze in kurzer Zeit grosse Landflächen. Da er sich dort inzwischen zu einer Bedrohung für die heimische Flora entwickelt hat, wird versucht, eine weitere Ausbreitung durch den Einsatz seiner natürlichen Feinde zu unterbinden.
Gegen das Gift der Stiefmütter
Im Mittelalter hatte Marrubium vulgare als Heilpflanze gegen die verschiedensten Krankheiten ihren festen Platz und war aus den Gärten der Klöster nicht mehr wegzudenken. (Siehe auch: Klosterheilkunde) So berichtete in der Mitte des 9. Jahrhunderts der Arzt und Dichter Walahfrid Strabo, Abt des Klosters Reichenau in seinem berühmten Gartengedicht, dem «Hortulus» vom Andorn: «Zwar brennt er scharf im Munde und sein Geschmack unterscheidet sich sehr von seinem Geruch: Er duftet süss, schmeckt aber scharf. Er kann jedoch starke Beklemmung der Brust lindern, wenn man ihn als bitteren Trank zu sich nimmt. Sollten die Stiefmütter je feindselig bereitete Gifte mischen in das Getränk oder in trügenden Speisen verderblich Eisenhut mengen, so scheucht ein Trank des heilkräftigen Andorn, unverzüglich genommen, die drohenden Lebensgefahren.» Gegen Ende des 11. Jahrhunderts schildert der Mönch Odo Magduensis in seinem «Macer floridus» über die ausgezeichnete Wirkung von Andorn bei Husten, Asthma und Schwindsucht. Etwa siebzig Jahre später bestätigt Hildegard von Bingen diese Empfehlung und berichtet darüber hinaus von den gesundheitsfördernden Eigenschaften der Pflanze bei «kranken Eingeweiden».
Multitalent mit bitterer Note
Das etwas scharf und äusserst bitter schmeckende Gewächs findet heute wissenschaftliche Anerkennung bei chronischer Appetitlosigkeit, Reizmagen sowie bei Verdauungs- und Atemwegsbeschwerden. Bereits Paracelsus, der grosse Arzt und Naturforscher des 16. Jahrhunderts, war von der Wirkung überzeugt und bezeichnete den Andorn als «die Arznei der Lunge». Wohl aufgrund der Ähnlichkeit der pflanzlichen Signatur von Andorn und Melisse verwendete Paracelsus häufig beide zusammen bei chronischen Lungenleiden. Bis heute wird Andorn in der Volksheilkunde zur Behandlung bei Bronchitis, Asthma, trockenem Husten, Keuchhusten und Tuberkulose verwendet. Vor allem bei schwachen älteren Menschen mit chronischem Husten hat sich Andorn als allgemein kräftigendes Mittel bewährt. Darüber hinaus wird das Kraut wegen seiner keimhemmend wirkenden Gerbstoffe und ätherischen Öle bei Durchfällen verschiedenster Ursache eingesetzt. Die in der Pflanze enthaltenen Bitterstoffe - insbesondere das Marrubiin - regen zudem die Bildung von Magensaft und Gallenflüssigkeit an und unterstützen so die Verdauung. Dazu aktiviert Marrubiin die Sekretion der Atemwegsdrüsen, löst und verflüssigt zähen Schleim und wirkt bei Erkältungskrankheiten auswurffördernd, entkrampfend, fiebersenkend und abwehrstärkend.
«Tierische Taxis» für die Verbreitung
Der Weisse Andorn (Marrubium vulgare) gehört zur Familie der Lippenblütengewächse. Er sollte mit seinem nahen Verwandten, dem Stinkandorn (Ballota nigra oder Marrubium nigrum) - auch Schwarznessel genannt - nicht verwechselt werden. Die Blüten des Stinkandorn sind rot bis dunkelviolett und ähneln denen der roten Taubnessel. Verwechslungen sind auch mit dem Wolfstrapp, der weissen Taubnessel oder der Katzenminze möglich. Der buschförmig wachsende Weisse Andorn ist eine mehrjährige Pflanze mit einer verholzten Faserwurzel. Sein vierkantiger, stark verzweigter Stängel erreicht eine Höhe von fünfzig bis sechzig Zentimetern und wirkt durch die starke Behaarung filzig-weiss. Die am Stängel kreuzgegenständig angeordneten Blätter sind elliptisch bis herzförmig, am Rand kerbig gezähnt und an der Unterseite filzig behaart. Zwischen Juni und September sitzen die schwach duftenden kleinen weissen Blüten am oberen Stängelabschnitt in einem Scheinquirl in den Achseln der Blätter. Am Grund der Blütenröhre befindet sich der Kelch mit seinen zehn feinen Zähnen, deren Spitzen meist hakenförmig gebogen sind. Diese Zähne setzen sich wie klettenartige Dornen an den Fellen vorbeistreifender Tiere fest, so dass auf diesem Weg die im Kelch enthaltenen Samen mitgenommen werden. Aus dieser Technik der Samenverbreitung ist wahrscheinlich auch der Name «An-dorn» abzuleiten.
Bedeutung der Namen
Der genaue Ursprung des Gattungsnamens «Marrubium» ist nicht geklärt, vermutlich aber stammt er von den althebräischen Worten «mar» und «rob» ab, die zusammen «reichlich bitterer Saft» bedeuten. Als kräftigendes Bittermittel wurde Andorn traditionell während des jüdischen Pessach- oder Passahfestes zusammen mit anderen bitteren Kräutern gegessen. Da Andorn im Mittelmeerraum beheimatet ist, könnte der botanische Name auch von der alten Hauptstadt des italienischen Volksstammes der Marser «Marruvium» abstammen, die östlich von Rom in den Abruzzen lag. Im Volksmund bekam Andorn im Laufe der Zeit eine Vielzahl unterschiedlicher Namen. Seine Bezeichnungen standen oft im Zusammenhang mit dem jeweiligen Einsatzgebiet: So erinnern die Namen wie «Gottes-Hülff», «Helff-Kraut», «Mutterkraut» oder «Gottvergess» an die erleichternde und wehenfördernde Wirkung während der Geburt. Die Menschen waren der Auffassung, dass Gott die Frauen den Schmerz vergessen lasse, wenn Andorn während der Geburt eingenommen wurde. Weitere im Volksmund übliche Namen sind Weisser Dorant, Berghopfen, Lungendank, Marobel, Dauerrang, Antonitee, Andor, Mutterhaut oder Mariennessel.
Andorn für den Kräutergarten
Der Andorn ist im Kräutergarten leicht zu ziehen, er breitet sich schnell aus und wird nur sehr selten von Schädlingen befallen. Obstzüchter haben entdeckt, dass Andorn schädliche Raupen und andere Insekten fernhalten kann, wenn er direkt unter Obstbäumen gepflanzt wird. Die Pflanze benötigt einen lockeren, durchlässigen Boden an einem sonnigen Standort. Im April werden die Samen ausgebracht, sie keimen in einer Zeitspanne von zwei bis drei Wochen. Danach sollten die Keimlinge auf etwa zwanzig bis dreissig Zentimeter Abstand ausgedünnt werden. Das Setzen von Jungpflanzen erfolgt im Frühjahr oder im Herbst. Andorn sollte nur mässig gegossen werden. Im Winter empfiehlt es sich, den mediterranen Einwanderer mit Reisig oder Laub abzudecken. Zur Zubereitung für Heilzwecke werden die oberen blühenden Sprossspitzen zu Beginn der Blütezeit im Juni in einer Länge von etwa zehn Zentimetern abgeschnitten. Diese Droge (Herba marrubii albi) wird in dünnen Schichten im Schatten eines gut durchlüfteten Ortes getrocknet und anschliessend aromageschützt aufbewahrt. Andorn kann auch über den Handel als Einzeltee, Galle-Leber-Teemischung, Frischpflanzenpresssaft sowie als Fertigpräparat in Form von Bronchialtropfen bezogen werden. Dazu wird die Droge häufig bei der Herstellung von Magenbittern und Hustenbonbons verwendet.
Teerezepturen und Präparate mit Andorn
Andorn-Tee
Andorn kann bei Verdauungsstörungen, Appetitlosikeit sowie bei Husten und Katharren der oberen Luftwege eingesetzt werden. Seine Bitterstoffe regen den Magen an, die ätherischen Öle und Gerbstoffe dagegen wirken entzündungshemmend auf die angegriffenen Atemwege.
Zubereitung:
Einen Teelöffel der fein geschnittenen Droge (entspricht einem Gramm) mit einer Tasse heissem Wasser übergiessen, fünf Minuten ziehen lassen und abseihen. Bei Verdauungsbeschwerden oder zur Appetitanregung jeweils eine Tasse vor den Mahlzeiten, beim Einsatz als schleimlösendes Mittel gegen Husten mehrmals täglich eine Tasse trinken.
Hinweis:
Die Tagesdosis von 4,5 Gramm sollte dabei nicht überschritten werden. Als Alternative zum Andorn-Tee kann auch ein Frischpflanzenpresssaft (Schoenenberger Andornsaft) verwendet werden. Hierfür können zwei bis fünf Esslöffel täglich eingenommen werden. Sie sollten jedoch vor der Einnahme immer die Packungsbeilage des Herstellers beachten!
Nebenwirkungen:
Bei bestimmungsgemässem Gebrauch sind keinerlei Nebenwirkungen zu erwarten.
Mehr Infos zu «Schoenenberger Andornsaft» finden Sie auf der Homepage der
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Leber-Galle-Teemischung
Wer an Gallebeschwerden leidet, kann durch eine Teemischung aus Andorn, Pfefferminze und Löwenzahnwurzel eine wirksame Hilfe erfahren.
Zubereitung:
Für diesen Tee werden zwanzig Gramm Andornkraut sowie je zehn Gramm Pfefferminzblätter und Löwenzahnwurzel benötigt. Von dieser Mischung zwei Teelöffel mit heissem Wasser übergiessen und fünf bis zehn Minuten zugedeckt ziehen lassen. Dreimal täglich eine Tasse Tee über einen Zeitraum von sechs Wochen lang trinken.
Nebenwirkungen und Gegenanzeigen:
Liegt bereits eine Entzündung der Galle oder ein Gallensteinleiden vor, sollte die Einnahme dieser Teemischung mit einer fachkundigen Person besprochen werden.
Teemischung bei Bronchialasthma
Zur Vorbeugung und Linderung bei Asthmaanfällen kann Andorn zusammen mit weiteren Kräutern in Form von Teemischungen gut eingesetzt werden, dies sollte allerdings nur während attackenfreier Phasen geschehen.
Folgende Rezeptur hat sich bewährt:
Je 20 Gramm Andornkraut (schleimlösend und auswurffördernd), Thymiankraut (krampflösend, auswurffördernd und keimhemmend) und Fenchelsamen (stimuliert die Flimmerhärchen in den Atemwegen).
Dreimal täglich einen Teelöffel dieser Mischung mit einer Tasse heissem Wasser übergiessen, fünf bis zehn Minuten ziehen lassen, abseihen und ungesüsst trinken. Das Ganze über einen Zeitraum von drei bis vier Wochen wiederholen.
Nebenwirkungen und Gegenanzeigen:
Thymian darf bei Schilddrüsenfunktionsstörungen sowie bei schweren Leberschäden nicht eingenommen werden. Bei bestimmungsgemässem Gebrauch von Andorn und Fenchel sind keine Nebenwirkungen zu erwarten.
Angocin-Bronchialtropfen
In Angocin Bronchialtropfen wird ein standardisierter Fluidextrakt aus dem Kraut des Andorns (Marrubii herba) als arzneilich wirksamer Pflanzenteil verwendet. Neue Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Extrakte der Pflanze spasmolytisch (entkrampfend) und analgetisch (schmerzlindernd) wirken. Zudem wirkt Marrubium album sekretionsfördernd und sekretionsverflüssigend in den Atemwegen und erleichtert dadurch insbesondere das Abhusten zähen Bronchialschleims
Einnahmeempfehlung:
Kinder ab 12 Jahren und Erwachsene dreimal täglich 40 Tropfen zu den Mahlzeiten einnehmen. Zum Zubereiten des Arzneimittels mit Wasser oder Tee verdünnen.
Hinweis:
Die tägliche Gesamtdosis darf nicht überschritten werden. (Packungsbeilage des Herstellers beachten!)
Gegenanzeigen:
Besteht eine Überempfindlichkeit gegen die Inhaltsstoffe darf das Medikament nicht eingenommen werden.
Nebenwirkungen:
Bei bestimmungsgemässem Gebrauch sind keinerlei Nebenwirkungen zu erwarten. (Packungsbeilage beachten!)
Mehr Infos zu «Angocin Bronchialtropfen» finden Sie auf der Homepage der
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Wichtiger Hinweis:
Alle angegebenen Arzneimittel-Informationen vermitteln nur einen allgemeinen Überblick über deren Anwendung und können keinesfalls eine fachliche Beratung durch Arzt, Apotheker oder Heilpraktiker ersetzen. Im Bedarfsfall sollten Sie einen Spezialisten aufsuchen. Vor einer etwaigen Anwendung von Arzneimitteln sollten Sie in jedem Fall die Packungsbeilage des Herstellers genau durchlesen und beachten.
Weiterführende Literatur!
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Pflanzenheilkunde, Homöopathie, Aromakunde
von Birgit Möller u. a.
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Verlag: Franckh Kosmos