Räuchern...

...die Düfte der Götter

Das Verglühen oder Verbrennen von aromatischen Hölzern, Harzen und Pflanzen spielt seit Tausenden von Jahren in fast allen Kulturen und Religionen eine zentrale Rolle. Der duftende Rauch sollte nicht nur die Verbindung zu den Göttern herstellen, er wurde auch als Heilmittel eingesetzt.

Das Räuchern von Duftstoffen durch den Menschen ist so alt wie die Nutzung des Feuers. Damals wie heute spendet Feuer nicht nur Wärme und Licht, auch die angenehmen Gerüche von aromatischen Substanzen erreichen die Sinne und rufen längst vergessene Gefühle in uns wach. Schon in frühester Zeit saßen die Menschen am Lagerfeuer: Sie nutzten diesen zentralen Ort des gemeinschaftlichen Lebens nicht nur zum Schutz und zur Verbesserung der Nahrungsaufbereitung, sondern lernten im Umgang mit dem Feuer auch die wohltuenden Düfte von Harzen, Hölzern und Kräutern kennen. Das Räuchern ist tief im Schamanismus verwurzelt. Diese frühe Form von Religion - deren Wortherkunft übersetzt so viel wie «mit Hitze und Feuer arbeiten» bedeutet, hat über sechzigtausend Jahre lang die Kulturen der Menschheit entscheidend geprägt. Dabei gehörte das Räuchern stets zu den wichtigsten rituellen Praktiken schamanistischer Kulte. Später wurde es von den Religionen der Antike übernommen und hat auf diesem Weg schließlich auch Eingang in die heutigen Zeremonien des Christentums, Judentums oder Islam gefunden.

Die frühen Räucherkulturen

Die ersten Schamanen und Medizinmänner setzten den duftenden Rauch zur positiven Veränderung der Stimmungslage ein, häufig verwendeten sie ihn auch für religiöse, magische und heilerische Zwecke. So sollte der aufsteigende Rauch - als Vermittler zur Welt der Götter - oft eine Beschwörung für eine aussichtsreiche Jagd, eine Bitte um gefälliges Wetter, Gesundheit oder Glück zum Himmel tragen. Zudem versetzten sich die Priester und Seherinnen mit den qualmenden Schwaden bestimmter bewußtseinsverändernder Hölzer, Harze und Blätter in Trance. Sie inhalierten den Rauch halluzinogen wirkender Pflanzen wie Stechapfel, Bilsenkraut, Tollkirsche oder Mohn um damit die Pforten der mystischen Welt zu öffnen. Die Schamanen verehrten die Pflanzen, denn diese galten als Geschenke der Götter. Vermutlich fanden die ersten Gottesdienste um den emporsteigenden Rauch heiliger, geheimnisumhüllter Pflanzen statt. Eine der ältesten Entdeckungen, die auf eine bereits verfeinerte Räucherkultur hinweist, läßt sich auf die Zeit 7200 vor Christus zurückverfolgen. So fand man in Skandinavien kleine Räucher- kuchen, die beim Verbrennen den Duft aromatischer Substanzen abgaben. Einige Jahrtausende später gehörte das Räuchern im religiösen und kulturellen Leben der Menschen zu den wichtigsten Bräuchen der antiken Kulte.

Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486 - 1535)

Der deutsche Universalgelehrte, Theologe, Arzt und Philosoph verfasste im Jahr 1510 sein dreibändiges Werk mit dem Titel «De occulta philosophia» (zu deutsch: Das Dunkle der Philosophie), in dem er unter anderem auch folgende Worte schrieb: «Räucherungen, Opfer und Salbungen durchdringen alles und erschließen die Pforten der Elemente und der Himmel, dass der Mensch durch dieselben hindurch die Geheimnisse des Schöpfers, die himmlischen Dinge und was über den Himmeln ist sehen und erkennen kann.» Agrippa von Nettesheim zählt durch seine Beschäftigung mit Naturphilosophie, Magie, Kabbala und Astrologie sowie mit seinem Gedankengut zur Religionsphilosophie zu den bedeutenden Koryphäen des 16. Jahrhunderts.

Weihrauch, einst so kostbar wie Gold

Der wichtigste Räucherstoff des Altertums, das sogenannte Olibanum oder Weihrauch, stammt von den Bäumen (Boswellia sacra), die in den Trockengebieten Arabiens vorkommen. Weil Weihrauch  - das natürliche Harz der Balsambaumgewächse -  so selten wie begehrt war, wurde es über die Jahrhunderte hinweg in Gold aufgewogen. Der rege Handel mit diesem edlen Duftharz verschaffte bestimmten Regionen im südlichen Arabien einen immensen Wohlstand. Besonders unter der Herrschaft der Sabäer (1100 vor Christus bis 575 nach Christus) gelangte der Weihrauchhandel zur seiner vollen Blüte. Lange Zeit war die Provinz Dhofar, das im heutigen Oman am südlichen Ende der arabischen Halbinsel liegt, ein bedeutendes Weihrauchzentrum. Von dort aus wurde die kostbare Ware zusammen mit anderen Handelsgütern wie beispielsweise Myrrhe, Edelsteinen, Seide oder Gewürzen in Kamelkarawanen auf der 3500 Kilometer langen Strecke - der sogenannten Weihrauchstraße -  von den Küsten des Indischen Ozeans bis ans Mittelmeer gebracht. Aber auch über die Schiffswege transportierte man arabischen Weihrauch nach Ägypten, Griechenland und sogar nach Indien. Weihrauch wurde somit zu einem wichtigen Bestandteil der religiösen und weltlichen Lebensweise. So diente er bei den Christen nicht nur als Zeichen der Ehrfurcht und des aufsteigenden Gebets, sondern auch als Duftstoff, zur Desinfektion und als Heilmittel, das nahezu alle berühmten Ärzte in Form von Pulver, Pflaster oder Salben verarbeiteten.

Weihrauch als Heilmittel

Olibanum ist das natürliche Harz des Echten Weihrauchbaumes (Boswellia sacra) aus der Familie der Balsamstrauchgewächse. Diese umfasst etwa dreihundert verschiedene Arten, die alle die gleichen Eigenschaften aufweisen: Die bizarren Bäume oder Sträucher sondern in bestimmten Exkretgängen ihrer Rinde aromatische Harze ab. Damit die Harze besser aus dem Holz austreten können, ritzen die Bauern während der Ernte die Rinde mit einem Messer zusätzlich ein. Ein einziger Weihrauchbaum bringt während der Erntesaison satte drei bis zehn Kilogramm Harz auf die Waage. Unerschöpflich waren in der Vergangenheit die medizinischen Anwendungsmöglichkeiten des Weihrauchs. So therapierten die bekannten Ärzte der griechisch-römischen Antike wie Hippokrates, Celsus, Galen oder Dioskurides mit Weihrauch Blutungen, Hautkrankheiten, Brandwunden und Warzen. Im Ayurveda wurden mit dem Harz chronische Arthritis, Bronchitis oder schleimige Durchfälle behandelt, bei den Ägyptern galt ein Gemisch aus zerstampftem Weihrauch und Honig als beliebtes Kaumittel für frischen Atem. Auch der berühmte persische Arzt Avicenna (979 bis 1037), der «Fürst der Ärzte» schrieb in seinem Kanon der Medizin, dass Weihrauch gut gegen Gedächtnisstörungen sei. Im alten China behandelten die Ärzte sogar Lepra mit dem Harz. In der Aromatherapie ist Weihrauch als sanft wirkendes Mittel sehr beliebt, das die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert und die menschliche Psyche beeinflusst. Die Äbtissin und Heilkundige Hildegard von Bingen wies auf die positiven Eigenschaften des Harzes bei überanstrengten Augen und bei Kopfschmerzen hin und empfahl, Weihrauch mit Mehl zu Duftplätzchen zu verarbeiten und sie an der Sonne zu trocknen: «Danach halt dir diese Plätzchen oft unter die Nase, und deren Duft macht dich stark und klärt deine Augen und füllt dein Gehirn auf». Als Heilmittel geriet Weihrauch in der westlichen Welt für einige Jahrhunderte in Vergessenheit. Erst seit Mitte der 1980er Jahre interessiert sich die Wissenschaft erneut für die Inhaltsstoffe des Indischen Weihrauchs (Boswellia serrata). Seitdem hat eine Reihe von Studien die Wirkung von Boswellia bei der Behandlung von rheumatoider Arthritis, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa bestätigt. Einige Studien deuten auch daraufhin, dass Weihrauch bei bestimmten Arten von Hirntumoren den allgemeinen Zustand der betroffenen Patienten verbessert. Während sich die medizinische Wissenschaft des Abendlandes erst seit einigen Jahren mit dem Trockenextrakt beschäftigt, setzt die indische Ayurveda-Medizin Boswellia schon seit Generationen bei der Behandlung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, chronischer Bronchitis und Allergien erfolgreich ein.

Die Welt der Düfte ( ... und des Gestanks)

Wohlgerüche gewinnen in der heutigen modernen Zeit in vielen Bevölkerungskreisen immer mehr an Bedeutung. Dieses Phänomen ist in Anbetracht zunehmender Luftverschmutzung, die häufig mit schier unerträglich üblen Gerüchen verbunden ist, nicht verwunderlich. Während in den industriellen Ballungszentren der westlichen Welt eine Geruchsmischung aus Schwefel- und Stickoxiden vorherrscht, steigen uns in den ländlichen Gebieten pestizid- und fungizidhaltige Duftnoten oder gar der abscheuliche Popkorngeruch aus der Verfeuerung von Mais-Energiepflanzen durch die Intensiv-Landwirte in die Nase. Die Auswirkungen dieser Luftverpestung auf die Gesundheit wie beispielsweise chronische Entzündungen der Atemorgane oder Allergien sind allgemein bekannt. Um so wichtiger ist es daher, sich in Zeiten der permanenten Reizüberflutung Raum und Platz für ausreichende Erholung zu schaffen und so Körper, Geist und Seele in einen gesunden, natürlichen Einklang zu bringen. Längst hat sich die Aromatherapie als komplementäres Heilverfahren zur Schulmedizin etablieren können und auch das Räuchern, welches die Wurzel der heutigen Aromatherapie und Parfümerie darstellt, ist nach wie vor in vielen Kulturen ein wichtiger Bestandteil eines ganzheitlich medizinischen Ansatzes. Wer sich heute für das Räuchern begeistert, spürt die Wirkungen der aromatischen Substanzen: Sie verbessern die Stimmung, erwecken Gefühle, regen die Phantasie an und können Körper und Seele zu tiefer Entspannung verhelfen.

Aromastoffe harmonisieren

Düfte und Gerüche können wir nicht sehen und nicht berühren und dennoch erwecken sie ins uns längst vergessene Gefühle und Erinnerungen. Sie entstehen, wenn kleinste Teilchen sich von der Materie lösen und auf die Riechschleimhaut der oberen Nasenmuschel treffen. Dabei erreichen sie unsere ältesten Gehirnareale - das sogenannte limbische System - in dem Sinnerfahrungen mit Erinnerungen und Stimmungen verknüpft werden. Über diesen Weg können bestimmte Aromastoffe wie beispielsweise Weihrauch- , Lavendel-, Eukalyptus-, Tannen- oder Fichtenduft grundlegende seelische und körperliche Heilreaktionen hervorrufen. Vielfältig waren in der Vergangenheit die Anwendungen der aromatischen Substanzen. Geräuchert wurde nahezu in allen Kulturen, bei Zeremonien und Festen, zur Verbesserung der Akustik in Kirchen, zur Reinigung und Desinfektion der Luft, bei Heirat, Geburt, bei Heilungen, am Krankenlager und bei Tod sowie zum Schutz von Haus und Hof. Aber auch in den Rauh- oder Rauchnächten wurde geräuchert - das ist die Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönig (25. Dezember bis 6. Januar). Unsere Vorfahren gingen davon aus, dass während dieser zwölf heiligen Nächte die Barriere zur Anderswelt sehr dünn ist und daher die Kontaktaufnahme mit den Geistern der Ahnen erleichtert wird. Geräuchert wird heute vor allem in Kranken- und Sterbezimmern, in Krankenhäusern, zur Desinfektion der Raumluft bei ansteckenden Krankheiten, in Schulungsräumen zur besseren Konzentration, nach einem anstrengenden Arbeitstag oder zu bestimmten Festtagen wie beispielsweise an Maria Lichtmess, Johanni, Maria Himmelfahrt oder Weihnachten.

Weiterführende Literatur!

Beim Räuchern werden besondere Harze und Pflanzenteile langsam auf Räucherkohle verbrannt. Der aufsteigende Rauch galt bei vielen Völkern jahrtausendelang als eine Botschaft an den Himmel. Das erste umfassende Buch über die Kunst des Räucherns mit Duftstoffen – von der Altsteinzeit über die Hochkulturen in Ägypten, Mesopotamien und Griechenland bis zum Ursprung der Räucherkultur im Fernen Osten und zu den heutigen noch lebendigen Gebräuchen bei den Indianern. Mit einer ausführlichen Beschreibung der Geschichte der einzelnen Räuchersubstanzen, ihrer praktischen Anwendung und mit bisher unveröffentlichten Rezepten zum Selbstmischen.

Das Buch vom Räuchern
von Susanne Fischer-Rizzi

Gebundene Ausgabe: 228 Seiten
Verlag: AT-Verlag

Weitere Infos zu diesem Buch finden Sie unter: Rezensionen

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Weihrauch - Gabe aus dem Morgenland
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Das Buch vom Räuchern - Buchtipp
Düfte von entzündeten Kräutern und Harzen dringen unmittelbar in die innere Erlebniswelt ein und entfalten dort ihre wohltuende Wirkung. Begeben Sie sich auf eine Duftreise, die zurück in die Frühgeschichte der Menschheit reicht.

Himmlische Düfte - Buchtipp
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